Montag, 28. November 2005

Freistuss Nr. 16: Einmal Butter sein

Vielleicht konnte nur Hans Meyer diese Worte finden. "Ich kenne wenige Trainer, die aus Scheiße Butter machen können." Ursprünglich hatte der neue "Club"-Coach lediglich darauf hinweisen wollen, dass die Möglichkeiten des Trainers, die Leistung einer Mannschaft zu beeinflussen, gemeinhin überschätzt würden. Gleichzeitig verriet der Thüringer Fußball-Lehrer jedoch die ungewöhnlichen Endpunkte seiner persönlichen Fußball-Skala. Neue Vokabeln, die in unserer Medien-Gesellschaft, in der ohnehin nur noch die Extrema einer Meldung wert sind, natürlich dankbar aufgenommen werden. Gewinner oder Verlierer. Top oder Flop. Oben oder unten. Butter oder Scheiße.

Was bedeutet das für die Liga? Über allem, nicht nur auf der Meyer-Tabelle, thront der FC Bayern: Die Premium-Butter der Bundesliga – zwar nicht immer streichzart, jedoch von so herausragender Güte, dass auch geringere Mengen davon ausreichen, um in Bielefeld oder gegen Mainz maximale Sättigungseffekte zu erzielen. Deutsche Markenbutter eben. In München schielt man vielmehr auf den europäischen Markt, Uli Hoeneß hat neuerdings sogar Zeit und Muße, darüber zu philosophieren, ob Real Madrids Ronaldo nicht vielleicht mit weniger Streichfett besser beraten wäre.

Während die Magath-Elf momentan also das Maximum darstellt, spielt der 1. FC Kaiserslautern einfach nur, nun ja – halt nicht so gut. Offensichtlich haben auch die Reste des Aufsichtsrats den Einfluss des neuen Trainers Wolfgang Wolf überschätzt, es stank zumindest noch gewaltig, was die Roten Teufel beim 1:5 in Hannover ablieferten. In der Pfalz sehnt man nun die Winterpause herbei, um in aller Ruhe die Formel für das eigene Produkt überdenken zu können. Mit dem jetzigen wird es sicher nichts.

An dieser Stelle zeigt sich leider auch schon die Schwachstelle des Meyerschen Butter-Scheiße-Modells. Verfügen wir ausschließlich über diese beiden Komponenten, ist jede Mischform äußerst unappetitlich – ungeachtet des Mischungsverhältnisses. So schwarz-weiß wie die Beispiele FCB und FCK ist die Bundesliga dann aber eben doch nicht. Wer wäre noch Butter? Der Hamburger SV und Werder Bremen? (Den Kalauer "Butter bei die Fische" kann ich mir einfach nicht verkneifen.) Und wer schon nicht mehr? Nein, Herr Meyer, so können wir definitiv nicht arbeiten. Geben Sie uns bitte weitere Begriffe! Milch, Wasser oder Erde beispielsweise.

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 21. November 2005

Freistuss Nr. 15: Das New Orleans der Pfalz

Hemmungslos freut sich der Fußballfan über den torhungrigen Marokkaner, der seine beiden Mitspieler "übersieht", mit einem Schuss ans Außennetz den möglichen Sieg verschenkt und nun einen Aufsatz zum Thema "Altruismus und Sozialkompetenz" bei Uwe Rapolder abliefern darf. Auch der geistesabwesende Argentinier, der Miroslav Klose mit dem eigenen Schlussmann verwechselt und mit seinem präzisen Zuspiel das sechste Gegentor der Wölfe einleitet, sorgt für Erheiterung. Sogar der unglückliche Mazedonier, der seinen Keeper in nur 129 Sekunden gleich zwei Mal düpiert, zaubert zumindest dem Nicht-Mainzer ein verschämtes Lächeln ins Gesicht.

Sich am Unglück anderer zu erfreuen, wird oft als unanständig beschrieben, doch dürfte diese Schadenfreude einer der entscheidenden Gründe sein, warum wir überhaupt die Geschehnisse der 17 anderen Vereine so leidenschaftlich verfolgen. Spektakuläre Tore oder Spielzüge möchte natürlich auch niemand verpassen; wenn es allerdings darum geht, den Arbeitskollegen oder Nachbarn mit dem Scheitern seines Lieblingsclubs aufzuziehen, helfen die drei patzenden Nationalspieler aus dem ersten Absatz jedoch viel eher.

Was im Kleinen noch so wunderbar funktioniert, versagt im Großen: Übersteigt das Ausmaß der sportlichen Katastrophe die Grenzen des Vorstellbaren, verabschiedet sich der Mensch instinktiv von allen Gedanken an Spott und Häme und flüchtet in betretenes Schweigen. Ernsthaft mitleidig blicken wir in diesen Tagen nach Kaiserslautern, dem New Orleans der Pfalz – trotz seiner exponierten Lage ganz oben auf dem Betzenberg ist das Fritz-Walter-Stadion am Samstag endgültig voll gelaufen.

Der FCK sei spätestens mit dem 1:3 gegen den 1. FC Nürnberg "sportlich gestrandet" erklärte René C. Jäggi, der hoffnungslose Leiter des Lauterer Krisenstabs, entließ den Trainer aus seinem Amt und trat nur Minuten später selbst zurück. Es hätte auch nicht mehr überrascht, wenn der Schweizer im gleichen Atemzug Halil Altintop verscherbelt, den verstorbenen Fritz Walter einen weinerlichen Taugenichts genannt und Insolvenz angemeldet hätte – das Chaos in Kaiserslautern ist längst nicht mehr fassbar. Im Katastrophengebiet helfen jetzt nur noch fähige und bezahlbare Spieler, ein unerschrockener Trainer, ein sportliches Konzept und eine neue Vereinsführung, der wirklich am Wohl des Clubs gelegen ist.

Zwischen Schlamm und Trümmern toben jedoch bereits die ersten Machtkämpfe um die vakanten Positionen. Die einzig gute Nachricht: Um Plünderer braucht man sich in der Pfalz wirklich keine Sorgen zu machen, die waren nämlich schon vor Jahren da.

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 14. November 2005

Freistuss Nr. 14: Eine WM ohne Bora Milutinovic?

Vor etwas mehr als 20 Jahren verzichtete der mexikanische Verband einigermaßen überraschend auf die Durchführung der nationalen Fußball-Meisterschaft. Zu bedeutend war die anstehende "Mundial" im eigenen Lande und zu überzeugend das Konzept des dunkelhaarigen Serben, der den Azteken den größten Erfolg ihrer Fußballgeschichte versprach: Velibor "Bora" Milutinovic.

Ein ganzes Jahr lang wurden die Nationalspieler von ihren Vereinen abgezogen, um sich unter der Anleitung von Milutinovic gezielt auf die WM-Endrunde vorzubereiten. Die Fans wurden derweil mit zwei Kurzturnieren der geschwächten Vereinsteams bei Laune gehalten, während der "Club Mexico" im wohl längsten Trainingslager aller Zeiten sein Zusammenspiel perfektionieren durfte und zusätzlich noch gut 60 (!) Testspiele bestritt. Sicherlich nicht das schlechteste Modell, nur leider heutzutage nicht einmal mehr in der Nähe des Umsetzbaren. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie Uli Hoeneß und seine Kollegen im Frühjahr 2005 auf eine derartige Forderung Jürgen Klinsmanns reagiert hätten.

Doch die ungewöhnliche Maßnahme des international bis dahin recht unbekannten Milutinovic trug Früchte, mit dem Einzug ins Viertelfinale bescherte er den stolzen Mittelamerikanern ihren bis heute größten WM-Erfolg. Für den Trainer sollte es nicht der letzte Auftritt bei einem Weltturnier sein, mit Costa Rica (1990), den USA (1994), Nigeria (1998) und zuletzt China (2002) verdiente er sich nicht nur den Beinamen "Weltenbummler", sondern wurde über die Jahre auch zum inoffiziellen Maskottchen der FIFA-Veranstaltung – beständiges Beiwerk zu Pique, der schnauzbärtigen Chili-Schote mit Sombrero, oder den drei verstrahlten Comic-Milben, die die Japaner vor dreieinhalb Jahren anboten. Eine WM ohne "Bora" war nicht mehr vorstellbar.

Im letzten Sommer warf der mittlerweile ergraute Serbe in Honduras hin – bis dahin ein sicherer Tipp für eine Endrunden-Teilnahme –, um in der Folge in Katar sein Glück als Coach des Serienmeisters Al-Sadd zu suchen. Vor wenigen Wochen endete auch der 152. Trainerjob und sofort wandte sich Milutinovic wieder seiner Bestimmung zu. "Die Arbeit mit einer Nationalmannschaft fehlt mir." Und nun? Den letzten wirklich interessanten Posten schnappte ihm im Spätsommer Guus Hiddink weg, der nach den beiden Halbfinalteilnahmen mit den Niederlanden (1998) sowie Südkorea (2002) deutliche Symptome mittelschweren WM-Fiebers zeigte und trotz seines Engagements in Eindhoven zusätzlich noch als Verantwortlicher der "Socceroos" anheuerte.

Russland, in der Qualifikation gescheitert, sei interessiert, wurde kürzlich vermeldet. Doch Milutinovic will sich alle Chancen offen halten: "Ich weiß noch nicht, wohin ich gehe. Nächstes Jahr werde ich aber ganz sicher in Deutschland dabei sein – ob nun als Coach oder als Fan." Ein klassischer Prämienstreit kann die Situation vor solch einem Turnier schließlich blitzschnell verändern, mancherorts gibt es vielleicht sogar etwas so Absurdes wie eine "Wohnsitzdebatte" – und dann wird wieder ein Trainer mit WM-Erfahrung gesucht...

(Christian Helms, sportal.de)

Dienstag, 8. November 2005

Freistuss Nr. 13: Das Prinzip Mourinho

"Wir haben doch immer noch sieben Punkte Vorsprung auf United", kommentierte José Mourinho die 0:1-Niederlage seines FC Chelsea beim Ligarivalen Manchester. Ob der Portugiese wirklich nicht wusste, dass es in Wahrheit sogar zehn Zähler sind, sei einmal dahingestellt, die glaubhafte Gelassenheit, mit der die Blues den unbefriedigenden Ergebnissen der letzten zwei Wochen begegnen, beeindruckt dabei umso mehr.

Die Londoner spielen ihre Rolle als übermächtiger Bösewicht des Fußballs mittlerweile meisterlich – die nationale Konkurrenz hat sich zumindest längst damit abgefunden, dass der Abramowitsch-Club die unantastbare Führungsposition in England eingenommen hat. Auch die erste Pleite nach 40 ungeschlagenen Premiership-Spielen wird an dieser Tatsache nichts ändern.

Mit José Mourinho holte der milliardenschwere Russe vor knapp 18 Monaten nicht nur einen exzellenten Taktiker und "Teambuilder" an die Themse, sondern eben auch einen hervorragenden Psychologen. Oft wird der Mann, der schon den FC Porto zum Gewinn der Champions League führte, als arrogant oder gar größenwahnsinnig beschrieben, doch ist es eben diese Mentalität, die den Unterschied zu anderen Spitzenteams ausmacht.

Während man in München oder Madrid eher zaghaft hört, man wolle versuchen, auf europäischer Ebene so weit wie möglich zu kommen, heißt es aus London ganz prägnant: "Wir gewinnen die Champions League. Wir sind das beste Team Europas." Punkt. Wenn Mourinho auch selbst nicht daran glaubte, wer sollte es denn sonst tun? Kein Interpretationsspielraum, keine Alibis – und die Spieler folgen ihrem Trainer.

So sprach auch Stürmer Eidur Gudjohnson bereits von der nächsten 40-Spiele-Serie, die man jetzt eben starten wolle. So etwas wie Selbstzweifel gibt es in Londons Westen im Jahr 2005 nicht mehr – Newcastle United dürfte dies in zwei Wochen schmerzlich zu spüren bekommen. Für die Blues gibt es in dieser Spielzeit ohnehin nur noch neun wirklich interessante Spiele. Jene auf dem Weg zum Champions League-Sieg.

Wer den nationalen Titel holen wird, ist indes auf der Insel bereits jetzt entschieden. So sehr zumindest, dass José Mourinho schon nicht mehr auf die Tabelle schaut.

(Christian Helms, sportal.de)

Dienstag, 1. November 2005

Freistuss Nr. 12: Ein Loddar Matthäus täte dem Club gut!

Als Michael A. Roth am Sonntagabend vor dem Mainzer Bruchwegstadion in sein Wohnmobil stieg, war die 287. Trainerentlassung der Bundesliga-Historie längst beschlossene Sache.

Das Spiel lief noch, der 1. FC Nürnberg lag zu diesem Zeitpunkt mit 1:4 zurück und auch Wolfgang Wolf ahnte bereits, dass er in Kürze wieder mehr Zeit für Ehefrau Dagmar haben würde. "Dieses Ergebnis ist keine Bewerbung, mich länger im Amt zu lassen", zeigte sich der geschasste Chef-Trainer schnell einsichtig. Nach bislang nur einem einzigen Saisonsieg war der bedauernswerte Wolf auch wirklich nicht mehr in der Position, lange zu argumentieren.

Doch wie geht es weiter? "Wir müssen eine schnelle Lösung finden", erklärt Roth, der in seinen insgesamt 16 Jahren an der Spitze des Traditionsclubs bereits zum 13. Mal einen Coach vorzeitig von seinen Aufgaben entband. Wer wäre denn überhaupt desperat genug, mit diesem Nürnberger Trümmerhaufen das Unternehmen Klassenerhalt anzugehen? Wer wäre so sehr von sich selbst überzeugt, dass ihn auch die begrenzten finanziellen Mittel des Clubs nicht schrecken?

Wer wäre zudem des fränkischen Idioms mächtig? Wer hat im Ausland und natürlich bei RTL2 ausreichend Erfahrung gesammelt, um aus FCN-Talenten Spitzensportler zu formen? Und – festhalten, bitte! – wer erlag einst schon dem Charme des "Teppichluders" und stände demzufolge den Avancen eines "Teppichkönigs" wahrscheinlich sehr aufgeschlossen gegenüber?!?

Tatsächlich erfahren wir von Michael A. Roth: "Es gibt nur fünf, sechs Trainer, die in Frage kommen. Matthias Sammer und Lothar Matthäus gehören natürlich dazu." Nun, den alten Miesepeter Sammer will doch wirklich keiner mehr sehen, auch wenn der Mann fachlich vielleicht einiges zu bieten hat. Die Bundesliga ist reif für Lothar Matthäus!

Und sollte der eine oder andere Clubberer diesbezüglich noch ein wenig skeptisch sein: Wenn's wirklich schief gehen sollte, steigt Ihr eben in der nächsten Saison wieder auf. Bis dahin sollten wir jedoch gemeinsam 23 Spieltage lang Fußball-Entertainment der allerersten Güte genießen...

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 24. Oktober 2005

Freistuss Nr. 11: 13 Stunden und 34 Minuten

Wann trifft er wieder? Seit den unrühmlichen Tagen von Radmilo Mihajlovic und Allan McInally blieb es keinem Angreifer des FC Bayern mehr ähnlich lange nicht vergönnt, sich als Torschütze feiern zu lassen. Zugegeben, das ist weniger das Resultat aufwändiger Statistikrecherche als vielmehr der Eindruck, der dem aufmerksamen Beobachter durch die ständige Kombination der Wörter "Makaay" und "Minuten" erwächst. Trotz beeindruckender 51 Treffer in 74 Bundesliga-Spielen stellt man den Niederländer in eine Ecke mit Kahé oder Artur Wichniarek – am Wochenende jedenfalls kletterte der Chancentod-Index auf ein neues Allzeit-Hoch, bei 814 Punkten blieb er schließlich stehen.

Dabei hatten die Duisburger doch früh und deutlich genug signalisiert, dass sie durchaus gewillt waren, dem übermächtigen Gegner aus dessen momentan offenbar größter Sorge zu helfen. Die Herren Möhrle und Wolters krabbelten beispielsweise derart hilflos durch den eigenen Strafraum, dass Zé Roberto – keineswegs als eiskalter Knipser bekannt – sich beinahe schon genötigt fühlte, per Absatzkick zu vollenden. Vier Tage zuvor, in der Partie gegen Juventus Turin, hätte er sich vermutlich noch für eine schnelle Drehung entschieden, nicht aber gegen die lahmen "Zebras", die außer ihren guten Vorsätzen und Schlussmann Georg Koch kaum Bundesligataugliches in München anboten.

So ergab sich nach etwa einer Stunde jene bizarre Situation, die man sonst nur von letzten Spieltagen kennt, wenn außer der Torjägerkanone nichts mehr zu gewinnen ist. Die Angriffsbemühungen der Süddeutschen zielten spätestens nach dem dritten Treffer nur noch darauf ab, den bemühten Makaay in Position zu bringen. Spürbarer Unmut machte sich beim Publikum in der Allianz-Arena breit, sobald ein Akteur das simple Schema auf dem Feld durchbrach und doch einmal etwas Überraschendes versuchte. Leichte Enttäuschung gar, als letztlich doch noch das 4:0 fiel – aber Claudio Pizarro die Arme in die Höhe riss. Wohl dem, der solche Probleme hat.

Freilich, am nächsten Spieltag wird sich dieses Thema ohnehin erledigt haben, der Spielplan meint es nämlich äußerst gut mit dem Holländer. Sein Verein tritt am Samstag beim 1. FC Köln an...

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 17. Oktober 2005

Freistuss Nr. 10: Dem BVB sein Wohnzimmer

"Kapital ist wie ein scheues Reh", wusste Borussia Dortmunds ehemaliger Präsident Gerd Niebaum auf der Bilanz-Pressekonferenz seiner schwarz-gelben Ich-AG im Oktober des vergangenen Jahres.

Doch während der promovierte Jurist wahrscheinlich noch immer mit dem raschelnden Wildfutter-Päckchen durch den städtischen Tierpark schlendert und darauf hofft, dass sein marodes Projekt BVB von einem schüchternen Paarhufer saniert wird, haben längst andere das Vereinskommando übernommen – und gehandelt.

Drei Bundesliga-Heimspiele werden die Borussen noch im Westfalenstadion austragen, danach wird der Ausdruck "Signal Iduna Park" in den Sprachgebrauch der Fußball-Bundesliga einziehen. Eine Wandlung, an der doch eigentlich ausschließlich noch überrascht, dass der klamme BVB nicht schon deutlich früher zu diesem mittlerweile gängigen Instrument der Kapitalbeschaffung gegriffen hat. Scheue Rehe sehen ihren Namensschriftzug halt gern an einem Stadiondach, dann nähern sie sich auch.

Natürlich schreien die Traditionalisten entsetzt auf, der Name der Spielstätte sei schließlich ein fester Bestandteil der Vereinsgeschichte. Doch – und das weiß auch jeder – wer heute wettbewerbsfähig bleiben oder es erst werden will, darf sich dieser lukrativen Möglichkeit eben nicht verschließen. Der Erzrivale aus Gelsenkirchen hat ja schließlich nicht Rudi Assauers Trinkgewohnheiten wegen seine neue Sporthalle umbenannt, nein, man versucht lediglich, sich so die Erfolge zu finanzieren, die der BVB im letzten Jahrzehnt bereits auf Pump feierte.

Drei Meisterschaften und der Gewinn der Champions League – weit mehr, als viele Fußballfans mit ihrem Verein je erleben werden – wollen nun abbezahlt werden, dafür werden Verein, Medien und mit leichter Verzögerung auch die Anhängerschaft sich an die Nennung des Versicherers gewöhnen. Wie schnell das geht, demonstrierte an diesem Wochenende ein TV-Kommentator, der sich zu einer recht gewagten These hinreißen ließ: "Für diese Atmosphäre steht die Veltins-Arena seit Jahren!"

Wenn im Sommer 2011 der nächste potente Sponsor an die Pforte des Signal Iduna Parks klopft, um die Gehälter der Hoffnungsträger Lars Ricken (35) und Christian Wörns (39) zu sichern, wird sich schon kaum noch jemand lange damit aufhalten. Es sei denn, es ist Rudi Assauer persönlich, mittlerweile nicht nur Werbestar, sondern auch Ehrenpräsident des FC Schalke 04 und nach dem vierten Titel in Folge derart größenwahnsinnig, dass er seine Ersparnisse darauf verwenden will, die Umbenennung in "Königsblauer Knappen-Park" zu erreichen...

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 10. Oktober 2005

Freistuss Nr. 9: Löwenzahm

Nicht nur in der entscheidenden Phase der WM-Qualifikation bleiben Kameras und Mikrofone bevorzugt bei den Gewinnern. Wieder und wieder wurden am Wochenende die Namen jener Mannschaften aufgezählt, die im kommenden Jahr in deutschen Stadien ihr Können demonstrieren dürfen.

Zwischen all den Bildern jubelnder Sportler blieb nur wenig Platz für jene, denen der Fußballgott das begehrte Ticket im allerletzten Moment noch aus den Fingern riss. Dabei schrieb Afrikas Qualifikationsgruppe 3 am Samstagnachmittag ein Lehrstück, zu welch brutaler Tragik dieses simple Spiel doch taugt.

Tatort Yaoundé: Nach dem vermeintlich schon entscheidenden Erfolg beim direkten Konkurrenten von der Elfenbeinküste wähnen die "Unzähmbaren Löwen" aus Kamerun sich bereits am Ziel, gegen die vorzeitig ausgeschiedenen Ägypter soll vor heimischer Kulisse die fünfte WM-Teilnahme in Folge perfekt gemacht werden. Früh gelingt der Heimelf die Führung, die große Qualifikationsparty in Grün, Rot und Gelb kann beginnen.

Als jedoch zehn Minuten vor dem Abpfiff Mohamed Shawky zum überraschenden 1:1-Ausgleich für die "Pharaonen" trifft, rückt der Traum plötzlich wieder in weite Ferne. Hektisch wirft Kamerun noch einmal alles nach vorne und wird tatsächlich in der vierten Minute der Nachspielzeit mit einem – recht zweifelhaften – Strafstoß belohnt. Ohrenbetäubender Lärm im restlos ausverkauften Rund. Der oft so komplizierte Modus der monatelangen WM-Qualifikation wird vorübergehend reduziert auf einen einzigen Schuss, der darüber entscheiden soll, ob Kamerun zur Endrunde fährt oder eben nicht.

Pierre Womé, Linksverteidiger in Diensten Inter Mailands, legt sich den Ball zurecht. Ein ganzes Land zittert mit, zur Eruption bereit – und muss mit ansehen wie das Leder an den rechten Außenpfosten klatscht. Die Partie ist aus und alle Löwen liegen gezähmt auf dem sandigen Platz.

Doch während im Fernsehen nach kurzer Verabschiedung ("Schade für Kamerun, doch freuen uns auf die Elfenbeinküste. Machen Sie's gut.") der Vorhang für dieses gewaltige Trauerspiel längst gefallen ist, einfach zum nächsten Schauplatz übergeblendet wurde, geht das Leben in Yaoundé natürlich weiter. Katerstimmung in den Wohnhäusern, Kneipen und Straßen, noch bevor das Fest überhaupt begonnen hat. Natürlich auch in der Kabine Kameruns, in der die tragische Figur des Abends mit Sicherheit auch durch den Zuspruch seiner Kameraden nicht zu trösten war.

Vor fünf Jahren hatte der damals erst 21-jährige Womé schon einmal Verantwortung übernommen und im olympischen Finale von Sydney mit dem entscheidenden Elfmeter gegen Spanien die erste Goldmedaille überhaupt für Kamerun gewonnen. Als Volksheld haben sie ihn einst in der Heimat empfangen, nun kennt er leider eben auch die andere Seite. Ihm ist wirklich zu wünschen, dass Familie und Freunde, vielleicht auch Psychologen, ihm helfen, diesen Fehlschuss schnellstmöglich zu verarbeiten. Allein wird damit niemand fertig.

Wer nach diesem grausamen Schlussakt noch von "Versagern" oder "Elfmetertrotteln" spricht, kann schlicht und einfach kein Herz haben.

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 3. Oktober 2005

Freistuss Nr. 8: Urlaubsnotizen

In der Fremde sind einfache Kenntnisse der Landessprache gemeinhin von Vorteil, vielfach reicht es jedoch schon, die Namen einiger aktueller Nationalspieler nennen zu können, um jede noch so verzwickte Kommunikationssituation zu meistern. Aus einem unbehaglichen Schweigen wird schnell ein Glanzstück der Völkerverständigung, wenn man sich gegenseitig die einstige und gegenwärtige Prominenz der Ballkunst an den Kopf wirft und ab und an den passenden Gesichtsausdruck findet.

Der Fußball baut Brücken, aber offensichtlich nicht nach Polen. Besuch bei Freunden in Schlesien: Dass diese sich noch nie sonderlich für Fußball interessiert haben, fand ich immer schon leicht befremdlich, tat dies aber eher als bedauerliche Ausnahmefälle auf diesem nicht grundlos runden Planeten ab. Wo ein Urlaub ist, ist auch ein Stadion: Der passionierte Gelegenheitsgroundhopper in mir jubilierte bereits, als er die Landkarte sah. Zabrze, Chorzow, Katowice – lauter alte Bekannte aus dem UEFA-Cup, auch Krakau ist nicht weit entfernt.

Oberschlesien, das ist in vielfacher Hinsicht das polnische Äquivalent zum Ruhrgebiet. Die einzelnen Städte sind hier sogar komplett zusammengewachsen, die Häuserfronten nach etlichen Jahren zwecklosen Widerstandes gegen die Kohleindustrie zugegebenermaßen noch ein wenig grauer und noch mehr Menschen trauen sich im Trainingsanzug auf die Straße. Doch während auf Schalke oder in Dortmund im Zwei-Wochen-Rhythmus Zigtausende in ihre geliebten Fußballtempel wandern, muss ich mich hier vom Gastgeber belehren lassen: "Normale Leute gehen eigentlich nicht zum Fußball."

Auch Freunde und Verwandte winken ab. "Zu gefährlich. Und wenn einer mitbekommt, dass Du nicht von hier bist, haben wir ein ernstes Problem." Gut, über gelegentliche Gewaltexzesse in osteuropäischen Stadien wird ja oft genug berichtet, doch dass schon das Mitführen eines deutschen Staatsbürgers als zu riskant eingestuft werden würde, hatte ich wirklich nicht erwartet. "Nach Sosnowiec können wir nicht, deren Fans sind dafür bekannt, Äxte (!) im Rucksack zu haben."

Während sich in Deutschland mittlerweile ja auch etliche (Möchtegern-)Intellektuelle zum Fußball bekennen – im WM-Jahr wird diesbezüglich wieder einiges auf uns zukommen – und dieser wunderbare Sport sein Schmuddel-Image in den letzten Jahren fast vollständig aus den modernen Arenen verdrängt hat, scheint es im östlichen Nachbarland als äußerst unschick zu gelten, sich mit dem rollenden Lederball zu beschäftigen. Zugespitzt: Langnese-Familienblock gegen prügelnde Unterschicht.

Ich punkte also weder mit Zurawski noch mit Dudek, Boniek oder Lato bringen immerhin ein anerkennendes Nicken. Fußballbegeisterung sieht anders aus. Vielleicht bin ich ja auch bislang einfach nur an die falschen Leute geraten...

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 26. September 2005

Freistuss Nr. 7: Schwerter zu Datenbanken

Am siebten Spieltag der Fußball-Bundesliga rissen etliche Serien - manche ähnlich geräuscharm wie ein tschechisches Kreuzband, andere hingegen begleitet von lauten, norddeutschen Jubelgesängen.

Eine kleine Auswahl: Bei seinem insgesamt siebten Einsatz als Liga-Coach setzte es für Bayer-Notnagel Rudi Völler erstmals eine Niederlage. Der VfB Stuttgart gewann nach drei sieglosen Auftritten im Gottlieb-Daimler-Stadion sein erstes Heimspiel. Nach 22 Spielen ohne einen Erfolg in der Fremde dürfen die Gladbacher Borussen endlich wieder jubeln, was wiederum die Anhänger der Arminia ernstlich besorgen sollte, dass die kleine Bielefelder Serie von zwei Spielzeiten Bundesliga in Folge bald ein Ende finden könnte.

Dem Hamburger SV war es in den letzten 18 Versuchen nicht gelungen, den FC Bayern niederzuringen, ehe Rafael van der Vaart (mit seinem ersten Heimtor) und Piotr Trochowski (mit sieben Konsonanten in seinem Nachnamen) mit ihren Treffern ganz Fußball-Deutschland erlösten. Schließlich endete in der AOL-Arena auch die "Mutter aller Serien", nach 15 aufeinander folgenden Siegen weht wieder ein Hauch von Normalität durch die Säbener Straße.

Keine Frage, Statistik hat momentan Hochkonjunktur in Fußball-Deutschland, allein der Sinn und Zweck der vielen Zahlenspiele bleibt manchmal verborgen. Lassen sich aus den vergangenen Partien denn tatsächlich Rückschlüsse für den nächsten Spieltag ziehen? Oder werden die Datenbanken nur so akribisch geführt, damit Sportschau-Moderatorin Monica Lierhaus zwischen den Spielberichten und Werbeeinblendungen nicht ganz so verloren wirkt?

Am kommenden Samstag gastiert der VfL Wolfsburg in der Allianz-Arena und die Statistik-Abteilungen müssen das ganze Kapitel zum FC Bayern bis dahin umschreiben. Das bewährte "Wer stoppt die Bayern?" funktioniert sicher nicht mehr. Dort, wo zuletzt nur die Zahlen – 13, 14, 15 – ausgetauscht wurden, müssen jetzt neue reißerische Fragen her. München nun schon ein Spiel ohne Sieg, gar 108 Minuten ohne Tor! "Wackelt Felix Magaths Stuhl?" Und: Zweimal zuvor ohne Michael Ballack mit Zu-Null-Siegen, mit ihm sofort die erste Pleite! "Kann der FCB es sich wirklich leisten, diesen Mann durchzuschleppen?"

Am Rande: Das ist schon die zweite Kolumne in Folge, die mit einem Vokal beginnt. Ich bin gespannt, was am nächsten Montag passiert.

(Christian Helms, sportal.de)

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