Es gibt in unserem Rechtsstaat einen weithin anerkannten Grundsatz, dass der Täter bei der Zumessung seiner persönlichen Strafe eben nicht "ohne Ansehen der Person", sondern unter Berücksichtigung seiner Gesinnung, seines Vorlebens und seiner persönlichen Verhältnisse beurteilt werden muss.
Mit Sicherheit weiß dies auch der promovierte Jurist Felix Brych, und als er am Sonntagabend in der Schalker Veltins-Arena (Jörg Wontorra würde wohl sagen: "Das ist diese riesige Kneipe, die sich der Assauer vor die Haustür hat bauen lassen…") in Sekundenschnelle das Verhalten Gilbertos einordnen sollte, wird es ihm vielleicht sogar kurz in den Sinn gekommen sein. Der Brasilianer war nach einem Foulspiel gegen seinen Landsmann Lincoln verwarnt worden und hatte die Sanktion des Unparteiischen mit Applaus quittiert – woraufhin ihm postwendend die Ampelkarte unter die Nase gehalten wurde.
Keine große Geschichte, sie hat sich schließlich nicht zum ersten oder zweiten Mal so ereignet. Unschuldslamm Gilberto gab sich nach dem Abpfiff jedoch reichlich überrascht: "In Brasilien habe ich es immer so gemacht. Wenn eine Entscheidung richtig ist, stimme ich so zu. Als ich plötzlich Rot gesehen habe, hat mich fast der Schlag getroffen." Auch Teamkollege Neuendorf stimmte in das fragwürdige Lied vom ahnungslosen Gutmenschen vom Zuckerhut ein. "Wenn ich so etwas mache, klar, dann ist das hämisch. Doch der Gilberto, das ist ein anständiger Kerl."
Das muss Dr. Brych doch wissen! Brasilianer sind allgemein sehr gottesfürchtige Menschen, tragen bevorzugt T-Shirts mit Gefühlsbekundungen für Jesus und würden es nie wagen, sich derart ungebührlich zu benehmen. Bei "Zecke" Neuendorf, so lernen wir, liegt der Fall genau andersherum, schon der Spitzname indiziert Boshaftigkeit. Und der Rest der Hertha-Bande? Arne Friedrich beispielsweise, Typ Nutellaschlecker und Vorzeigeschwiegersohn, dazu noch deutscher Nationalspieler – ja, da hätten es wohl ein paar ermahnende Worte getan. Josip Simunic oder Niko Kovac wären wiederum direkt unter die Dusche geschickt worden, schließlich sind alle Kroaten tendenziell verschlagen und obendrein Wettbetrüger…
Nein, der Mann mit der Pfeife hat natürlich völlig richtig entschieden: Wer die Entscheidungen des Unparteiischen in solch überflüssiger Weise kommentiert, demonstriert mangelnden Respekt vor dem Leiter der Begegnung und muss dann eben auch die Konsequenzen tragen. Unabhängig davon, ob er in seiner Freizeit älteren Menschen beim Einkauf hilft oder hilflose Wale rettet. Und in der unwahrscheinlichen Fallvariante, dass Gilberto die letzten Jahre tatsächlich in völliger Isolation verbracht haben sollte und wirklich nicht erahnen konnte, welche Folgen sein Handeln haben würde, hat der brasilianische Auswahlspieler zumindest etwas für den Rest seines Fußballerlebens gelernt.
(Christian Helms, sportal.de)
freistuss - 19. Sep, 10:00
Lässt sich ein Fußballspiel im Nachhinein nicht so einfach in eine der altbekannten Schablonen pressen, bedienen sich die Befragten gerne der Floskel, ihr Sieg sei zwar "glücklich, aber nicht unverdient" zustande gekommen. Ob nun der Trainer des Deutschen Meisters im Fernseh-Interview – wie nach dem 2:1 in Nürnberg – oder der Kurzbericht zum Spitzenspiel der Bezirksliga auf der vorletzten Seite der Lokalzeitung, es scheint einigermaßen unehrenhaft, eine Begegnung ausnahmsweise einfach nur glücklich für sich zu entscheiden.
Die geschwätzigere Variante differenziert noch in "glücklich in der Entstehung, aber verdient, wenn man die Spielanteile/Torchancen betrachtet". Ja, was denn nun? Wir relativieren und rechtfertigen uns um eine klare Aussage herum. Es ist doch nun mal das Konzept dieses wunderbaren Spiels, dass nach 90 Minuten auf den Spielstand geschaut und im Optimalfall ein Gewinner gekürt wird. Und selbst wenn die Glücksgöttin Fortuna sich zuvor persönlich einwechselt hat, um den entscheidenden Treffer zu markieren – ja, genau, Günter Netzer konnte das auch –, ist daran nun wirklich nichts Unlauteres zu entdecken.
So aber quetscht man an den äußersten Grenzen der Logik noch die starke Leistung der eigenen Mannschaft ins Statement, schließlich hat man ja auch dominiert, ohne das Spiel wirklich im Griff gehabt zu haben. Stellte außerdem nicht die schlechtere Elf, auch wenn der Gegner insgesamt vielleicht überlegen war. Ist unheimlich couragiert aufgetreten, auch wenn man in der einen oder anderen Szene nicht unängstlich agierte. Und hat schließlich die Sache auf den Punkt gebracht, aber nicht wirklich etwas gesagt...
(Christian Helms, sportal.de)
freistuss - 12. Sep, 10:00
Das große Fernsehduell lockte am Wochenende Millionen vor den Schirm, wirklich neue Erkenntnisse lieferte es allerdings nicht: Zähe 90 Minuten lang wurde dem interessierten Zuseher noch einmal veranschaulicht, was er doch ohnehin schon wusste.
"Deutschland hinkt im internationalen Vergleich hinterher. Andere Nationen sind uns meilenweit voraus." Der attackierte Amtsinhaber verwies dann wie gewohnt darauf, dass man mittlerweile wieder auf einem guten Weg sei, die notwendigen Reformen längst griffen und es überhaupt keinen Bedarf zu einem großen Personalwechsel gebe. Eine Antwort, mit der sich Moderator Johannes B. Kerner partout nicht zufrieden geben wollte.
Kerner? Ja, denn hier soll uns nicht das bizarre Schauspiel aus Berlin-Adlershof beschäftigen, in dem der Gerd und die Angie auf Knopfdruck Textbausteine aus ihren Wahlkampfveranstaltungen rezitierten, sondern das bittere Treiben von Bratislava. Keine drei Monate hat man sie also konservieren können, die Euphorie rund um die hoffnungsvolle Klinsmann-Auswahl, die beim Confederations Cup noch fleißig neue Sympathien gesammelt hatte. Das dauergrinsende Duo "Poldi und Schweini" hat auf den Titelseiten Platz gemacht für die hängenden Köpfe eines Christian Wörns oder Per Mertesacker.
Ein Abend mit der Nationalelf fühlt sich leider wieder so trist an wie in den letzten Tagen eines Rudi Völlers. Selbst "Klinsi", der kompromisslose Erneuerer aus Übersee, der kurzzeitig frischen Wind ins muffige Lager des DFB gebracht hatte, wirkte am Samstag im Zwiegespräch mit den Kritikern erstmals etwas kraftlos. "So ein Mist, so ein Käse! Ich kann den Scheißdreck nicht mehr hören", wird nun vielleicht der eine oder andere erbost ausrufen. Doch, ganz ehrlich, man musste am Samstag keine drei Weißbier getrunken haben, um zu sehen, dass die Aufbruchsstimmung zu kippen droht.
Der Respekt vor dem deutschen Fußball schrumpft von Monat zu Monat. "Für uns war das ein ganz normales Länderspiel. Wie gegen Liechtenstein", verhöhnte der slowakische Kapitän Miroslav Karhan nach dem Spiel den Gegner. Ja, und? Dafür sind wir bereits für die Endrunde qualifiziert, und wenn Ihr nicht aufpasst, zieht der Russe im letzten Moment noch an Euch vorbei. Und der VfL Wolfsburg hat nicht mal den UI-Cup überstanden. Jawohl!
Warum also haut Jürgen Klinsmann nicht ein wenig selbstbewusster auf die DFB-Pauke? Meinetwegen auch mit sprachlichen Anleihen aus der Politik. "Die gewaltigen Herausforderungen der Zukunft werden wir meistern. Stillstand hatten wir hier lange genug, Deutschland darf nicht mehr Schlusslicht in Europa sein! Wir wollen Fußball aus einem Guss! Vorfahrt für Abwehrarbeit! Das funktioniert in Skandinavien doch schließlich auch..."
(Christian Helms, sportal.de)
freistuss - 5. Sep, 09:55
Fünfeinhalb Monate ist es mittlerweile her, dass dem FC Bayern letztmals in einem Bundesliga-Spiel die berühmten Lederhosen ausgezogen wurden: Das brasilianische Lama Lincoln legte sich an jenem Sonntagabend nicht weit vor den Iden des März das Spielgerät zurecht und spuckte es Sekunden später in elegantem Bogen an Oliver Kahn vorbei ins Netz.
Seither beherrscht das Münchener Ensemble die nationale Konkurrenz scheinbar nach Belieben, zwölf Siege in Folge fuhr die Magath-Elf nun ein. Dabei hatte der Coach des Deutschen Meisters nach der von Confederations Cup und Markterschließungsmaßnahmen in Fernost reichlich zerrupften Saisonvorbereitung seines Personals noch in Aussicht gestellt, dass diese 43. Saison keineswegs so fad daherkommen würde wie ein durchschnittliches Interview mit Kevin Kuranyi.
"Wir werden uns zu Beginn der Saison wieder irgendwie durchmogeln müssen", so Magath vor wenigen Wochen. Und genau das tut sein Team nun in Perfektion. Denn obwohl sich die beiden 3:0-Siege im eigenen Stadion sich letztlich sehr nett lesen, wirklich rund läuft es auch beim FCB noch nicht. Der entscheidende Unterschied zu den Verfolger-Teams in Königsblau oder Grün-Orange besteht darin, dass schwächere Heimspiele dann eben trotzdem gewonnen werden.
Auch die Hertha, immerhin Vorjahresvierter, fügte sich am Samstag seltsam mutlos in ihr Schicksal - die Liga zittert augenscheinlich wieder vor den Bayern. Diese konzentrieren sich derweil schon wieder verstärkt auf die Champions League, wo die wahren Herausforderungen des Fußball-Lebens warten. Die Duelle mit Juventus als Erholung vom lästigen Tagesgeschäft.
"Wir spielen auch gern Bundesliga", bekennt Felix Magath und lässt bewusst ein wenig jene Arroganz durchklingen, die einem Bayern-Trainer momentan halt zusteht. Nach nur drei Runden ist die Titelfrage natürlich längst noch nicht entschieden, doch ganz ehrlich: Ein echter Herausforderer für den Deutschen Meister ist leider nicht in Sicht.
So lange es aber mutige Männer gibt wie Dr. Helmut Fleischer, der entschlossen gegen den Ruf ankämpft, ein "Heimschiedsrichter" zu sein, oder Andres d'Alessandro, der das in den letzten Jahren beinahe in Vergessenheit geratene argentinische Schauspiel zu neuen Erfolgen führt, wird die Bundesliga gewiss auch diese Phase überstehen.
(Christian Helms, sportal.de)
freistuss - 29. Aug, 10:00
Sensationslüstern erwarten wir alljährlich die Meldungen aus der Fußballprovinz, beseelt von lediglich zwei bescheidenen Wünschen, nämlich, dass irgendwo ein selbstherrlicher Favorit an einer Truppe namenloser Feierabendfußballer scheitern und sich bis auf die Knochen blamieren möge – und dies doch bitte nicht dem eigenen Verein widerfahre.
Traditionell wird dann am späten Samstagabend der sympathische Bäckerlehrling, der den entscheidenden Treffer gegen das Star-Ensemble setzte, im Aktuellen Sportstudio präsentiert, bevor der Schlussmann des TSV Kleinkleckersdorf – vielleicht ein hochgewachsener VWL-Student – noch einmal schildern darf, wie er zwei Minuten vor dem Abpfiff gegen den freistehenden Nationalstürmer den Sieg rettete. Die erste Hauptrunde des DFB-Pokals verläuft eigentlich immerzu nach gleichem Muster.
Kein Weinheim, kein Vestenbergsgreuth. Im August 2005 blieben die großen Überraschungen leider aus, auch wenn einzelne Beobachter in der Pleite des 1. FC Köln, der sich als bislang einziger Bundesligist aus dem Wettbewerb verabschiedete, eine solche ausgemacht haben wollten. Dem Erstligaaufsteiger nach seinem glänzenden Saisonstart gleich das Prädikat "Goliath vom Rhein" verpassen zu wollen, der beim eigentlich chancenlosen David in Offenbach, über die eigene Arroganz stolperte, überzeugt jedoch kaum. Immerhin schwimmt der OFC nach dem Aufstieg und den beiden Auftaktsiegen in der Zweiten Bundesliga momentan auf einer Welle der Euphorie, die eventuell noch ganz andere Gegner vom Bieberer Berg gespült hätte.
Der Pokal habe nun mal seine eigenen Gesetze, müssen wir uns stattdessen einfallsreich belehren lassen. Die anscheinend aber nicht für alle gelten, schließlich haben sich der VfB Stuttgart (in Hoffenheim) und Hertha BSC (in Koblenz) ja auch nicht unbedingt mit Ruhm befleckt – und stehen dennoch in der zweiten Runde. Sonderbare Gesetze sind das.
(Christian Helms, sportal.de)
freistuss - 22. Aug, 10:00
Zehn merkwürdig strukturlose Sommer-Wochenenden liegen hinter uns. Klar, der überraschend kurzweilige Confederations Cup hat zumindest gelehrt, dass der Weg zum WM-Titel nicht zwingend über Tunesien oder Australien führen muss, man hat auch einigermaßen interessiert zur Kenntnis genommen, dass Magenta-Mops Jan Ullrich zwar oft genug "gute Beine" hatte, zwischen den Berggipfeln Frankreichs jedoch trotzdem neben einigen Pfunden auch wieder etliche Sekunden verlor.
Schließlich, als die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, in der alles an der Konstante 15:30 Uhr ausgerichtet war, immer größer wurde, ertappte man sich verschämt dabei, wie ein grausam durchschnittliches UI-Cup-Spiel – vom DSF mit viel Liebe in einer Dauerwerbesendung versteckt – schon ein Lächeln hervorzauberte. "Könnte die Bundesliga doch heute schon beginnen", träumte ich und hätte für diesen Deal eventuell sogar wirklich eine SMS mit "Ball" an den einstigen Sportsender geschickt. Der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier.
Seit diesem Wochenende läuft sie wieder, die beliebteste Seifenoper der Republik, und mit Spannung erwarteten Millionen, welche Geschichten sich die Autoren für die mittlerweile 43. Staffel ausgedacht haben.
Allerlei neue Charaktere wurden eingeführt, zudem einige aussortierte reaktiviert. Der alte Italiener Trapattoni ist wieder da, aber offenbar noch nicht in Laune für eine Wutrede. Ebenso zurück meldet sich Michael Henke, auch wenn es noch leicht verwirrend ist, neben ihm nicht stets den verknitterten Mantel des geheimnisvollen Ottmar Hitzfeld zu sehen. Der Serienbösewicht FC Bayern hat plötzlich auch noch ein Stadion, um das man ihn beneiden muss, der lustige Bosnier Barbarez darf entgegen jeglicher Logik weiterhin Elfmeter schießen und würgt sie neuerdings sogar irgendwie über die Linie.
Völlig absurd mutet die Idee an, Artur Wichniarek plötzlich als erfolgreichen Torjäger einführen zu wollen. Das ist doch nach allem, was wir bisher gesehen haben, wirklich nicht mehr glaubwürdig. Wenigstens wurden etablierte Running Gags wie Auswärtspleiten der Gladbacher Borussia beibehalten. Ach, ich bin gespannt, was die nächste Folge alles bringt...
(Christian Helms, sportal.de)
freistuss - 8. Aug, 10:00