Der Montag

Montag, 27. März 2006

Freistuss Nr. 25: Drecksau mit Substanz

Endlich neue Fakten! In der aktuellen öffentlichen Diskussion um die angeblichen Spielmanipulationen Bayer Leverkusens in der Saison 2002/03 hat Reiner Calmund eingeräumt, er sei "eine kleine Drecksau". Natürlich ging es dem einstigen Sprachrohr des rheinischen Erstligisten dabei nicht um den Verbleib der viel zitierten 580.000 Euro. Diesbezüglich, so ließ er verlauten, habe er "keinen Dreck am Stecken".

So hilft dieses Geständnis den zuständigen Ermittlungsbehörden nur wenig. Gleichzeitig liefert es aber eine Erklärung, warum wir uns so wunderbar vorstellen können, wie "Calli" und der Spielerberater Volker Graul damals in einer Loge der BayArena über einer Schweinshaxe brüteten und "de janze Jäschichte" abwickelten. Der "Brachial-Pragmatiker", wie ihn der Spiegel einmal nannte, hat es immer meisterhaft verstanden, komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge mit einfachen Worten zu erklären und ließ dabei auch gerne durchblicken, dass das große Geschäft um den Fußball nicht immer ganz sauber sei.

Als er nach dem Mauerfall die beiden Starkicker Ulf Kirsten und Andreas Thom aus dem Ostteil des Landes zur Werkself lockte, erläuterte Calmund nicht etwa umständliche Vertragswerke, sondern gab einen Einblick in seine Methoden. "Man fährt in die Wohnung zu den Eltern, bringt 'ne Tafel Schokolade und 'n Sträußchen Blumen mit und macht ein bisschen Tralala." In Bielefeld, München oder Nürnberg werden sie sich knapp 14 Jahre später freilich weniger für Schokolade oder Blumen interessiert haben, vielleicht aber für einen dicken Koffer voller Tralala. Alles Pipapo, "da war nix", so Calli heute.

Bielefelds Schlussmann Mathias Hain war sich zumindest schon damals sicher, dass beim Saisonfinale in Nürnberg nicht alles mit rechten Dingen zugehen würde. Während es im Mai 2003 ausschließlich Spekulationen gab, sind nun "Hinweise mit Substanz" aufgetaucht, dass sich das Abstiegsgespenst nicht mit leeren Taschen aus dem Rheinland verzogen haben könnte. Mehr aber eben auch noch nicht, das sei noch einmal ausdrücklich betont.

Sicher sein darf man sich hingegen, dass sich die Staatsanwaltschaft nicht von Tralala oder nicht enden wollenden Ergüssen aus dem Mund des sympathischen Schlitzohrs Reiner Calmund beeindrucken lassen wird. Ihr Ruf ist deutlich besser als der des deutschen Fußballs…

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 13. März 2006

Freistuss Nr. 24: Beute der Panik

Nacion

"La Nacion", die etwas seriösere der beiden größeren Tageszeitungen Costa Ricas, widmete am Samstag einen Großteil ihrer Sportseiten dem ersten Gruppengegner des nahenden Weltturniers.

Während der deutlich bilderlastigere Konkurrent "Al Día" in aller Ausführlichkeit das Thema "Ronaldos Leibesfülle im Wandel der Zeit" behandelte, war dort zu lesen: "Futbol alemán es presa del panico" (Der deutsche Fußball ist Beute der Panik). Das Ausscheiden der letzten beiden DFB-Vertreter aus der auch in Costa Rica überaus populären Champions League, dazu das deutliche 1:4 von Florenz - erstklassige Zutaten für eine Geschichte über die katastrophalen Aussichten des WM-Gastgebers.

Offensichtlich liest man auch in San José aufmerksam die Bild-Zeitung; woher sonst sollte die seltsame Forderung des Experten (?) Stefan Effenberg stammen, Jürgen Klinsmann kurzfristig durch Ottmar Hitzfeld zu ersetzen. "Alemanes al borde de un ataque de nervios" (Die Deutschen am Rande des Nervenzusammenbruchs) - ja, so scheint es fast, wenn man dem Text Glauben schenken darf. Neuauflage der Wohnsitzdebatte, Rücktrittsforderungen, einzig "el presidente Theo Zwanziger" wird als wohl klingende Stimme der Vernunft zitiert. Sich zum jetzigen Zeitpunkt vom Bundestrainer zu trennen, sei eine "idea de borrachos". (Wörtlich eine Idee der Betrunkenen, vielleicht gibt das Spanische einfach keine treffendere Übersetzung für Schnapsidee her. Salud!)

Kopfschüttelnd stehe ich am Zeitungsregal und klage einem interessierten Tico, so nennen sich die Einwohner des kleinen mittelamerikanischen Landes, mein neuerwecktes Leid. Er solle sich keine allzu grossen Sorgen machen, am 9. Juni in München habe "la Sele", die Auswahl Costa Ricas, durchaus realistische Chancen auf einen Auftakterfolg. Doch ehe ich noch von den deutschen Pleiten in der Slowakei oder der Türkei erzählen kann, unterbricht er mich.

"Ach was, Costa Rica ist doch noch vieeel schlechter. Wir haben uns immerhin gerade vom Iran vorführen lassen, davor..." Und während mich mein Spanisch im Stich lässt - der Mann lispelt allerdings auch wirklich stark -, überlege ich, ob es wohl überall auf diesem Planeten üblich ist, dass Fußball-Fans am liebsten an ihrer Nationalmannschaft herummäkeln. Oder wir in knapp drei Monaten wirklich das mieseste Eröffnungsspiel aller Zeiten erleben werden.

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 20. Februar 2006

Freistuss Nr. 23: Berliner Momentaufnahme

Wenn man seinen Lebensunterhalt damit verdient, Fußballspiele anzuschauen, wird eines leider immer seltener: Momente, in denen man dieses Spiel so erlebt, wie man es nach wie vor am liebsten tut. Ohne jede berufliche Aufgabenstellung – dafür mit einem kühlen Bier in der Hand. Kein angestrengtes Suchen nach der Schlüsselszene oder netten Randgeschichten lenkt vom Fernsehschirm ab, statt eines Notizblocks wird höchstens die Fernbedienung umklammert.

Dafür zahlt allerdings auch niemand ein entschädigendes Honorar, wenn die Akteure auf dem Fernsehschirm sich wahrlich bemühen, einem den Abend zu verleiden. Zuletzt geschehen am vergangenen Mittwoch, als Hertha BSC und Rapid Bukarest mir rasch klar machten, dass ich während dieses Spiels keinen Gedanken an ein zweites Bier verschwenden würde. Selbst im Vollrausch wäre dieses Kräftemessen noch ähnlich dröge gewesen wie der obligatorische Analyseplausch zwischen Thomas Helmer und Berti Vogts. Dauerregen, wie so oft, wenn die Berliner die kleine europäische Nebenbühne betreten. Dazu gespenstische Stille in einer spärlich besuchten Betonschüssel. Erst die DSF-Grafik überzeugt mich davon, dass die Partie gar nicht in Rumänien stattfindet. 0:1. Trostloser kann ein Kick kaum mehr sein.

Schnell ist klar: Gewinnt die kränkelnde alte Dame auch am Samstag nicht gegen den FC Schalke 04 – was ja durchaus einmal vorkommen kann –, wird Udo Lattek am Sonntagvormittag wieder von "fehlenden Hierarchien" faseln und die Gazetten am Montag werden überquillen vor Geschichten, dass das Ein-Mann-Unternehmen "Hoeneß BSC" endgültig abgewirtschaftet habe. Dabei weist die Tabelle den Hauptstadt-Club doch noch immer als sechstbestes Team aus. Sicher, das Spitzenquartett ist den Berlinern nach zehn sieglosen Partien endgültig entfleucht, der fünfte Rang und damit die verlockende Aussicht auf neuerliche Europapokalfeste in Göteborg oder Bukarest ist jedoch noch immer in Reichweite.

"Das ist eine Momentaufnahme, mehr nicht", so Falko Götz. Nicht etwa am Samstag, sondern vor ziemlich genau einem Jahr, als Hertha BSC elf Mal in Folge ohne Niederlage blieb und den Vereinsrekord einstellte. Marcelinho hatte in jenen Tagen gerade seine Begeisterung für Haarfärbemittel entdeckt, entschied damals aber die Spiele derart regelmäßig durch geniale Aktionen zu Gunsten seiner Elf, dass die
Verantwortlichen sich einzig sorgten, dass der Brasilianer sein Vermögen in der Heimat allzu gutgläubig "verwalten" lassen könnte. Götz ahnte, es würde nicht immer so rund laufen.

Eine Momentaufnahme, wie jetzt auch. Hätte Arne Friedrich vor eineinhalb Wochen gegen den Tabellenführer eine seiner hochkarätigen Möglichkeiten genutzt, wären die Berliner anschließend republikweit als "Bayern-Killer" gefeiert worden, man hätte wahrscheinlich von den jungen Wilden, den Chaheds und Boatengs, geschwärmt. Das Potenzial ist zweifelsohne vorhanden; von der Meisterschale ist man zwar momentan weit entfernt – was übrigens für gleich 17 Vereine der Bundesliga gilt –, mit
dem Abstieg, den die ersten Apokalypse-Schreiber in Anspielung auf den "Horror-Herbst 2003" an die Wand des Olympiastadions malen, wird man indes auch nichts zu tun haben.

Es ist wirklich zu wünschen, dass die Verantwortlichen in Berlin jetzt nicht die Nerven verlieren und diesbezüglich dem VfB Stuttgart nacheifern. Falko Götz ist einer der wenigen Trainer, die sich hundertprozentig mit ihrem Verein identifizieren. Das Geld für seine Abfindung könnte man zumindest deutlich besser anlegen – vielleicht
verpflichten die Berliner ja im Sommer endlich einmal einen torgefährlichen Angreifer.

Das Rückspiel in Bukarest (Donnerstag, 16:15 Uhr) werde ich mir übrigens nicht mehr anschauen – zum Glück bin ich dann schon im Urlaub…

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 13. Februar 2006

Freistuss Nr. 22: Das elfblättrige Kleeblatt

Ein guter Zauberer wird weniger für seine Fingerfertigkeit bewundert als für die Tatsache, dass es ihm regelmäßig gelingt, selbst den aufmerksamsten Zuschauer in die Irre zu führen. Er spielt gekonnt mit unseren Erwartungen, wenn wir eine Münze gutgläubig in seiner linken Hand wähnen, obwohl sie sich dort natürlich schon längst nicht mehr befindet. Sicher wird der eine oder andere jetzt einwenden, wenn man eine bestimmte Anzahl von Shows gesehen habe, dann erwarte man die Münze bereits in der anderen Hand. Aber genau das ist der Punkt: Man hat irgendwann eine ungefähre Vorstellung davon, was passieren könnte. Dadurch verliert die Geschichte an Reiz.

In ähnlich naiver Weise lasse ich mich manchmal von den Resultaten der Vorwochen verführen und denke, ich wüsste recht genau, was mich am Samstagnachmittag erwartet. Der FC Schalke 04, weder vor dem eigenen noch vor dem gegnerischen Tor in der jüngeren Bundesliga-Vergangenheit für allzu viel Entertainment berühmt, traf auf Bayer Leverkusen. Seit dem Rückrundenstart schienen auch die Rheinländer in der eigenen Hälfte wieder deutlich geordneter zu agieren – das Treffen in der Veltins-Arena versprach zumindest eher ein zähes Ringen zu werden als ein Spektakel allererster Güte.

Nun habe auch ich mir meine Leichtgläubigkeit beim Besuch solcher Veranstaltungen nicht bewahren können; davon auszugehen, dass es nun zwangsläufig ein 0:0 zu begähnen gebe, wäre töricht. Klar, dann hat man diesen winzigen Moment der Übergabe eben verpasst und das Geldstück blitzt gleich in der anderen Hand auf. Am Samstag aber waren plötzlich beide Hände des Magiers leer. Stattdessen zog er flink das Ungeheuer von Loch Ness aus seinem schwarzen Zylinder, auf dessen Rücken Elvis Presley gedankenverloren eine Ukulele zupfte, bevor ein gigantisches UFO die beiden nach 90 Minuten einsammelte und der Vorhang fiel. Den Trick verstanden hat mit Sicherheit keiner, doch das Publikum erhob sich begeistert und war dankbar für die größte Show seit einem knappen Vierteljahrhundert!

Woche für Woche erdulden Fußball-Fans die unsäglichsten Fußballspiele. Geduldig wühlen sie sich durch einen riesigen Haufen Unkraut und haben zumeist gar nicht mehr vor Augen, wonach sie eigentlich suchen. Und dann steht es da, am Stadtrand von Gelsenkirchen – ein elfblättriges Kleeblatt! Man möchte es pflücken, mit nach Hause nehmen, dort der Lebensgefährtin unter die Nase halten, um das nächste „Wäre es denn so schlimm, wenn Du ein Mal nicht zum Fußball gingest?“ einfach fortwedeln. Oder einen kurzen Moment verweilen. Wohl wissend, dass man gerade unverhofft etwas sehr Außergewöhnliches erlebt hat und unter Umständen sehr lange auf eine Wiederholung warten muss. Mindestens eine Woche.

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 6. Februar 2006

Freistuss Nr. 21: Das Zeug zum Außenseiter

Hätten die Fußballer Bayer Leverkusens am Samstag tatsächlich einen Punkt aus der Allianz-Arena entführt, wären die Begriffe "Überraschung" oder "Sensation" kaum angemessen gewesen. Die ARD hätte im Anschluss an die Tagesschau in einem halbstündigen Brennpunkt ("Das Wunder von München") über die heldenhaften Taten der Rheinländer berichtet. Über jenen denkwürdigen Tag, an dem ein Hauch von Spannung in die Bundesliga zurückkehrte. Und diese Einleitung wäre ohne Konjunktive ausgekommen.

Dass es nicht so kommen würde, war dabei im Grunde auch vor dem Spiel schon allen Beteiligten klar gewesen. "Wir sind, wenn überhaupt, nur Außenseiter", hatte Michael Skibbe in einem Fernseh-Interview dem aufmerksamen Zuschauer tiefe Einblicke in das Bayer-Selbstverständnis an diesem Samstag gewährt. Bei allem Respekt, was soll denn bitte eine Mannschaft sein, dessen Trainer sich nicht einmal sicher ist, ob man sich guten Gewissens als Außenseiter bezeichnen darf? Kanonenfutter? Schlachtvieh?!?

Selbst wenn das knappe Resultat den Leverkusenern am Ende eine wirklich respektable Leistung bescheinigte, darf Skibbes seltsamer Einschub als bemerkenswerter Beleg gelten, dass weite Teile der einstigen Konkurrenz ihr Schicksal als schmückendes Beiwerk akzeptiert haben.

Auch die letzten Verfolger haben mittlerweile eingesehen, dass man die Zuschauer allein mit der Aussicht eines spannenden Titelrennens nicht mehr ins Stadion locken können wird; in Bremen ließ man darum zunächst effektvoll den lustigen Brasilianer Naldo in seiner Paraderolle als Bajazzo der Werder-Defensive auftreten, um dann eine aufwändige Aufholjagd zu inszenieren. Die Hamburger mimten zeitgleich gegen die flinken Arminen eine hilflose Treter-Truppe, um dann spektakulär das eigene Publikum mit zwei eiskalt genutzten Gelegenheiten zu verzücken.

Mit echter Spannung hat das indes leider nur noch wenig zu tun. Immerhin, bereits am Dienstagabend muss der Branchenprimus erneut ran. Vielleicht stolpern Michael Ballack und seine Kollegen ja im Berliner Olympiastadion. Wenn es allerdings der Hertha – in Frankfurt nur Punktgewinner ob Rehmers Gnaden – nicht endlich einmal gelingen sollte, ihr volles Potenzial auszuschöpfen, hat auch sie nur das Zeug zum Außenseiter. Wenn überhaupt.

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 30. Januar 2006

Freistuss Nr. 20: Das Trainer-Karussell

Das viel zitierte Trainer-Karussell rotierte in der Hinrunde schneller als je zuvor, gleich acht Teams suchten sich in dieser Spielzeit bereits einen neuen Anleiter. Das beliebte Bild des Jahrmarktklassikers macht Sinn, ziehen am Beobachter doch tatsächlich wieder und wieder die gleichen Figuren vorbei. Beispielsweise Klaus Augenthaler, einst in Leverkusen, nun in Wolfsburg. Von Zeit zu Zeit erscheinen auf der Reitbahn allerdings auch gänzlich neue Gestalten – nach der Winterpause gleich drei auf einmal.

Kaum eine Attraktion animierte die Besucher des Rummelplatzes Bundesliga an diesem Wochenende zu einer solchen Vielzahl mittelprächtiger Wortspiele wie der neue Chefcoach des 1. FC Köln, Hanspeter Latour. Es liegt jedoch in der "Latour der Sache", dass der Schweizer nach der missglückten Premiere in Mainz moderate Töne anschlug. "Die zwei Auswärtstore stimmen mich eigentlich zufrieden, aber auf der anderen Seite des Platzes steht eben auch ein Tor", erklärte der Rapolder-Nachfolger noch einmal die "Latourgesetze" des Spiels und schaffte, was seinem defensivschwachen Personal erneut nicht gelungen war – er punktete. Dank seines Witzes, seiner Höflichkeit und der deutlichen Ansprache darf man den "Bergdoktor" schon jetzt als echten Gewinn für die Liga bezeichnen.

Mit Jürgen Kohler und Mirko Slomka verlebten zwei weitere Trainer ihren ersten Spieltag als hauptverantwortliche Betreuer einer Bundesliga-Mannschaft. Ersterer hätte dabei durchaus Anlass zu offener Freude gehabt, galoppierten die Duisburger Zebras doch in Stuttgart zum ersten Auswärtssieg der Saison. Doch Kohler wäre nicht der "Fußballgott", wüsste er nicht genau, dass dieser schmeichelhafte Erfolg zu großen Teilen den am Samstag erschreckend stumpfen VfB-Spitzen zu verdanken war.

Ähnlich unaufgeregt wirkte Mirko Slomka, der nach dem hausgemachten Chaos in Gelsenkirchen zum Chefcoach befördert worden war und bei seiner Auftaktaufgabe in Kaiserslautern deutlich mehr zu verlieren als zu gewinnen hatte. Die Zukunft des jungen Übungsleiters bleibt trotz des verdienten 2:0-Sieges ungewiss, zu sehr sehnt man sich auf Schalke nach mitreißendem Sport, nach begeisternden Fußballnächten, wie sie zuletzt vor Jahren mit Huub Stevens gefeiert wurden. Der kühle Auftritt auf dem eisigen Betzenberg trug hingegen noch immer gut lesbar die Handschrift Ralf Rangnicks. Punkten allein reicht auf Schalke nicht mehr – zumindest, solange Rudi Assauer nicht gänzlich entsorgt ist.

Ein vierter Neuling präsentierte sich überraschend in Leverkusen: Wo im Vorjahr noch der stets freundliche Michael Skibbe durch schwammige Statements unfreiwillig die Durchschnittlichkeit seines Clubs betonte, stand plötzlich ein zorniger Mann an der Seitenlinie. Verkniffen war sein Blick, präzise gestutzt seine Koteletten. "Evil Skibbe" polterte los, ging mit der eigenen Mannschaft nach dem 2:1 über die Frankfurter Eintracht so hart ins Gericht, wie man es im Siegesfall sonst nur Matthias Sammer zutrauen würde. Nun, den oft phlegmatischen Bayer-Kickern wird's gewiss nicht schaden.

Zu einem echten Klassiker auf dem Karussell entwickelt sich derweil Thomas Doll. Runde für Runde erscheint der Hamburger Coach, um mit breitem Mecklenburger Akzent zu verkünden: "Wir sind keine Bayern-Jäger." Neu ist allerdings, dass man ihm das am Samstag erstmals abnahm.

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 19. Dezember 2005

Freistuss Nr. 19: Ein perfektes Jahr?

Ein zufriedenes Lächeln wird Uli Hoeneß bei der heutigen Zeitungslektüre begleitet haben. Zahlreiche Berichte vom Remis im Nord-Derby, das natürlich vor allem dem FC Bayern hilft. Dazu kam kaum ein Blatt umhin, den neuen Hinrundenrekord der Münchner noch einmal in aller Ausführlichkeit zu würdigen. Vertragsverlängerungen mit Sebastian Deisler, Lucio und Oliver Kahn wurden jüngst vermeldet und obendrein legte man sich noch einen Rohdiamanten aus Paraguay unter den Weihnachtsbaum.

Süßer könnten die Glocken in der Säbener Straße wohl nur noch klingen, falls Willy Sagnol und Michael Ballack am Heiligen Abend unter dicken Tränen neue Papiere unterschrieben. Doch auch so bilanziert Uli Hoeneß schon einmal: "Wenn wir jetzt noch unser Pokalspiel am Mittwoch gegen den HSV gewinnen, war es ein perfektes Jahr." Die Welt des Bayern-Managers leuchtet momentan so rosig wie die Allianz-Arena an einem Europapokalabend.

Dem Großteil der deutschen Fußballfans wird der Ausgang dieses Achtelfinales indes reichlich egal sein, ganz andere Fragen quälen beispielsweise den geneigten Anhänger in Duisburg, Wolfsburg, Köln oder Gelsenkirchen: Vom "Fußballgott" zum Feuerwehrmann – ist Jürgen Kohler der richtige Mann für den MSV? Unmotiviert oder einfach "schon warm" – was soll ich nun von Miroslav Karhan halten? Kann Wolfgang Overath die zehn Millionen Euro für Christoph Daum nicht irgendwie auftreiben? Lothar Matthäus einmal ausgeklammert – welcher Coach würde eigentlich noch freiwillig unter Rudi Assauer arbeiten wollen?

So nämlich sieht sie aus, die raue Lebenswirklichkeit der meisten Liga-Komparsen! Es liegt uns fern, Uli Hoeneß in die Festtagssuppe spucken zu wollen, ein "perfektes Jahr" war es aber auch für den FC Bayern München nicht. Genüsslich – na gut, auch unglaublich neidisch – schauen wir noch einmal auf jene gerade einmal sieben Pflichtspiele, die der FCB im Kalenderjahr 2005 verlor.

13. Februar, Bundesliga
Arminia Bielefeld – Bayern München 3:1 (1:0)

09. März, Champions League
FC Arsenal – Bayern München 1:0 (0:0)

13. März, Bundesliga
FC Schalke 04 – Bayern München 1:0 (0:0)

06. April, Champions League
FC Chelsea – Bayern München 4:2 (1:0)

26. Juli, Liga-Pokal
Bayern München – VfB Stuttgart 1:2 (1:1)

24. September, Bundesliga
Hamburger SV – Bayern München 2:0 (1:0)

02. November, Champions League
Juventus Turin – Bayern München 2:1 (0:0)

(Fairerweise sollte man anmerken, dass die knappe Niederlage in Highbury eigentlich ein Erfolg war; schließlich schaffte die Magath-Elf nach dem 3:1-Hinspiel-Triumph den Sprung ins Viertelfinale. Auch das Liga-Pokal-Aus gegen den VfB Stuttgart verdient eine gesonderte Betrachtung, kam es doch ob der bevorstehenden Asien-Reise gar nicht einmal ungelegen.)

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 12. Dezember 2005

Freistuss Nr. 18: Von Kopfstößen und Ehrenrunden

Selten wird ein Trainer wirklich überraschend entlassen. Negativserie, sportliche Talfahrt, Ultimatum – das Vokabular, das von der nahenden Trennung kündet, ist meist gut lesbar in den wackelnden Stuhl geritzt. Kurz bevor es dann ernst wird, stellt sich noch schnell ein Mitglied des Präsidiums wortreich hinter den Trainer, um am nächsten Morgen zu vermelden: "Aufgrund der unbefriedigenden sportlichen Erfolge der jüngeren Vergangenheit hat sich der Verein X entschieden, Trainer Y mit sofortiger Wirkung zu beurlauben."

Manchmal wird die gängige Vollzugsfloskel noch durch die launigen Zusätze "in beiderseitigem Einvernehmen" oder "schweren Herzens" aufgelockert, am Inhalt ändert das allerdings wenig. Klaus Augenthaler (Bayer Leverkusen), Wolfgang Wolf (1. FC Nürnberg), Ewald Lienen (Hannover 96) und Michael Henke (1. FC Kaiserslautern) mussten in dieser Saison bereits vorzeitig gehen, weil die tatsächliche Punktausbeute nicht der erwarteten entsprach. Die logische Nr. 5 in dieser Liste wäre eigentlich Holger Fach gewesen.

In der zurückliegenden Woche meinten jedoch gleich zwei Herren, die Gesetzmäßigkeiten der Branche ignorieren zu müssen, und drängelten sich energisch vor den Wolfsburger, dessen Personal doch auf dem Feld zuletzt so nachdrücklich für einen Wechsel plädierte.

Zunächst zog MSV-Trainer Norbert Meier sich aus dem Verkehr, indem er einen Kopfstoß derart schlecht ausführte, dass er darüber erschrak, sich deshalb theatralisch fallen ließ – pardon, hinfiel – und im Anschluss dümmliches Zeug von einem Blackout faselte. Und Ralf Rangnick verkündete am Freitag, dass er keinen neuen Vertrag beim FC Schalke 04 unterschreiben werde, beging am Folgetag den Fehler, "emotional angefasst" in die Fankurve zu winken – und eine Zigarrenlänge später war er arbeitslos!

Dankbare Zerstreuung rund um ein Wochenende, an dem die 15. Herbstmeisterschaft des FC Bayern München ansonsten die größte Geschichte gewesen wäre. Vielleicht aber auch die sportliche Talfahrt des VfL Wolfsburg. Das Thema Holger Fach ist jedenfalls noch nicht vom Tisch.

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 5. Dezember 2005

Freistuss Nr. 17: Der moralische Mittelfinger

Wer jemals seinen Verein zu einem Auswärtsspiel begleitet hat, weiß um die demütigende Prozedur, die den reisefreudigen Anhänger in der Fremde erwartet. Eine Hundertschaft gepanzerter Gendarmen steht zumeist am Zielbahnhof bereit und begleitet die Schar der Fußball-Touristen bis an die Stadiontore.

Dort übernimmt normalerweise ein breitschultriger Miesepeter vom Stadion-Ordnungsdienst, der die Worte "Rucksack auf!" bellt, während seine Hände wenig liebevoll Jacke und Schritt des zahlenden Kunden abklopfen. Wer sich in diesem Moment noch immer nicht wie ein Schwerverbrecher fühlt, lässt schließlich den winzigen Käfig, in den man gemeinhin gepfercht wird, ein wenig auf sich wirken und lächelt unterwürfig in eine der vielen Kameras, die in den kommenden zwei Stunden jede kleinste Bewegung im Block aufzeichnen werden.

Die bittere Erkenntnis des 15. Bundesliga-Spieltags: An diesem unangenehmen Rahmenprogramm wird sich in absehbarer Zukunft nichts ändern, der viel zitierte Trommelstock von Hamburg nimmt den Befürwortern liberalerer Sicherheitskonzepte vorerst alle Argumente. Die Diskussion über die Abschaffung der Fangnetze hinter den Toren dürfte sich damit übrigens auch erledigt haben.

Immer wieder wurde gezeigt, wie HSV-Kapitän Daniel van Buyten seinen verwundeten Kameraden Alexander Laas vom Schlachtfeld trug – eine Szene, wie man sie eigentlich nur aus pathetischen Kriegsfilmen kennt. Bemerkenswert geistesgegenwärtig hatte der belgische Hüne allerdings schon Sekunden zuvor gehandelt, als er dem Gäste-Block noch kurz seinen erhobenen Mittelfinger präsentierte.

Dass der DFB die Geste des "Stinkefingers" nicht als stadiontaugliche Kommunikationsform einordnet, bekam vor gut elf Jahren schon Stefan Effenberg zu spüren; auch Werner Lorants Ausraster an der Alten Försterei zog im Sommer 2003 eine deftige Geldstrafe nach sich. Der Hamburger wird hingegen kaum mit Konsequenzen zu rechnen haben. Und das ist in diesem Fall auch gut so.

(Christian Helms, sportal.de)

Montag, 28. November 2005

Freistuss Nr. 16: Einmal Butter sein

Vielleicht konnte nur Hans Meyer diese Worte finden. "Ich kenne wenige Trainer, die aus Scheiße Butter machen können." Ursprünglich hatte der neue "Club"-Coach lediglich darauf hinweisen wollen, dass die Möglichkeiten des Trainers, die Leistung einer Mannschaft zu beeinflussen, gemeinhin überschätzt würden. Gleichzeitig verriet der Thüringer Fußball-Lehrer jedoch die ungewöhnlichen Endpunkte seiner persönlichen Fußball-Skala. Neue Vokabeln, die in unserer Medien-Gesellschaft, in der ohnehin nur noch die Extrema einer Meldung wert sind, natürlich dankbar aufgenommen werden. Gewinner oder Verlierer. Top oder Flop. Oben oder unten. Butter oder Scheiße.

Was bedeutet das für die Liga? Über allem, nicht nur auf der Meyer-Tabelle, thront der FC Bayern: Die Premium-Butter der Bundesliga – zwar nicht immer streichzart, jedoch von so herausragender Güte, dass auch geringere Mengen davon ausreichen, um in Bielefeld oder gegen Mainz maximale Sättigungseffekte zu erzielen. Deutsche Markenbutter eben. In München schielt man vielmehr auf den europäischen Markt, Uli Hoeneß hat neuerdings sogar Zeit und Muße, darüber zu philosophieren, ob Real Madrids Ronaldo nicht vielleicht mit weniger Streichfett besser beraten wäre.

Während die Magath-Elf momentan also das Maximum darstellt, spielt der 1. FC Kaiserslautern einfach nur, nun ja – halt nicht so gut. Offensichtlich haben auch die Reste des Aufsichtsrats den Einfluss des neuen Trainers Wolfgang Wolf überschätzt, es stank zumindest noch gewaltig, was die Roten Teufel beim 1:5 in Hannover ablieferten. In der Pfalz sehnt man nun die Winterpause herbei, um in aller Ruhe die Formel für das eigene Produkt überdenken zu können. Mit dem jetzigen wird es sicher nichts.

An dieser Stelle zeigt sich leider auch schon die Schwachstelle des Meyerschen Butter-Scheiße-Modells. Verfügen wir ausschließlich über diese beiden Komponenten, ist jede Mischform äußerst unappetitlich – ungeachtet des Mischungsverhältnisses. So schwarz-weiß wie die Beispiele FCB und FCK ist die Bundesliga dann aber eben doch nicht. Wer wäre noch Butter? Der Hamburger SV und Werder Bremen? (Den Kalauer "Butter bei die Fische" kann ich mir einfach nicht verkneifen.) Und wer schon nicht mehr? Nein, Herr Meyer, so können wir definitiv nicht arbeiten. Geben Sie uns bitte weitere Begriffe! Milch, Wasser oder Erde beispielsweise.

(Christian Helms, sportal.de)

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