Freistuss Nr. 33: Sex oder Kopfballpendel?
Regelmäßig gerät die schreibende Zunft einige Wochen vor Turnierbeginn in Not. Das öffentliche Interesse am bevorstehenden Großereignis ist gewaltig, neue Geschichten ergeben sich zwischen der Bekanntgabe der WM-Kader und dem Anstoß des Eröffnungsspiels jedoch normalerweise kaum. Da die Extra-Seiten dennoch gefüllt werden wollen, erscheinen Portraits der Nominierten sowie lange, einfühlsame Interviews mit den Enttäuschten. Meist liebevoll garniert mit kontrastarmen Röntgenbildern der Angeschlagenen oder Medizinball-Impressionen der Fidelen.
Schließlich verliert ein gelangweilter Journalist auf einer dieser reichlich überflüssigen Pressekonferenzen im Trainingslager die Nerven und stellt die Gretchen-Frage: "Nun sag, mein Trainer, wie hat's die Mannschaft mit dem Sex?" Die Erkundung nach dem Beischlafverhalten der kasernierten Truppe ist ein absoluter WM-Klassiker, vermutlich stand diese Frage auch vor 76 Jahren in Montevideo schon im Notizblock des einen oder anderen Schreiberlings. Das Thema lässt sich nun mal gut verkaufen, ausnahmsweise sogar unabhängig von der Antwort des Coaches. Sobald das auflagensteigernde Wort mit den drei Buchstaben im Titel auftaucht, ist man auf der sicheren Seite – oder warum haben Sie diesen Artikel angeklickt?!?
Ecuadors Nationaltrainer Luis Fernando Suárez, so war gestern zu lesen, fordere seine Kicker in den letzten beiden Wochen vor der Weltmeisterschaft zur Enthaltsamkeit auf. Man müsse ein Gleichgewicht schaffen zwischen Freizeit, in der seine Schützlinge ausgehen könnten, und einer Phase, in der sie sich voll auf das Trainingslager konzentrieren müssten, zitierte ihn eine ecuadorianische Lokalzeitung. Deren Extra-Seiten wollen schließlich auch gefüllt werden.
Damit schlägt Suárez eine gänzlich andere Linie ein als sein Amtsvorgänger Hernan Dario Gomez. "Wenn man es langsam macht – und mit einer Menge Liebe – kann es ein Fußballspieler jeden Tag tun", hatte der vor vier Jahren bei der recht erfolglosen WM-Premiere seines Landes erklärt. Brasiliens Coach Carlos Alberto Parreira verzichtet sogar auf jegliche Einschränkung hinsichtlich der Dynamik oder der Emotion. "Sex ist immer gut und immer willkommen. Ein Problem wäre, wenn meine Spieler rauchen und trinken oder nicht essen und schlafen. Aber Sex am Tag vor dem Spiel ist nichts Schlechtes."
Vor einem halben Jahrhundert hatte Bundestrainer Sepp Herberger noch die Empfehlung ausgegeben, "sexuelle Bedürfnisse" ließen sich am besten durch eine Zusatzeinheit intensiven Kopfballtrainings abbauen. Wenn also Helmut Rahn zu später Stunde aus lüsternen Träumen erwachte, wartete in der menschenleeren Sporthalle nicht nur der "Geist von Spiez" auf ihn – sondern auch das Kopfballpendel. Und am Ende stand der Titel.
Unzählige wissenschaftliche Untersuchungen gibt es mittlerweile zu diesem Thema, freilich mit den unterschiedlichsten Ergebnissen. Alles also nur eine Glaubensfrage?
Wenn die Empirie versagt, hilft der Terrier! Dessen Versuchsanordnung lieferte nämlich aufschlussreiche Ergebnisse. Outete sich Berti Vogts 1994 noch als Suárez-Hardliner, gab er sich vier Jahre später in Frankreich bemerkenswert liberal. "Sex vor einem Spiel? Das können meine Jungs halten, wie sie wollen. Nur in der Halbzeit, da geht nichts", hieß es damals unter großem Gelächter. Gebracht hat der Meinungsumschwung bekanntermaßen herzlich wenig. Erneut kam das Aus im Viertelfinale, erneut gegen ein osteuropäisches Team.
Wenn Ecuador also trotz neuer Trieb-Taktik die Vorrunde des Turniers wieder nicht überstehen sollte, müsste doch eigentlich auch der letzte Zweifler überzeugt sein, dass der Einfluss des Teammanagers Eros lange überschätzt wurde. Dass es im Grunde völlig egal ist, was beispielsweise der Italiener während der Endrunde mit seiner Nudel macht. Wahrscheinlicher ist aber, dass in exakt vier Jahren wieder Meldungen dieser Art über die Ticker laufen. Die vielen WM-Seiten wollen schließlich gefüllt werden.
(Christian Helms, sportal.de)
Schließlich verliert ein gelangweilter Journalist auf einer dieser reichlich überflüssigen Pressekonferenzen im Trainingslager die Nerven und stellt die Gretchen-Frage: "Nun sag, mein Trainer, wie hat's die Mannschaft mit dem Sex?" Die Erkundung nach dem Beischlafverhalten der kasernierten Truppe ist ein absoluter WM-Klassiker, vermutlich stand diese Frage auch vor 76 Jahren in Montevideo schon im Notizblock des einen oder anderen Schreiberlings. Das Thema lässt sich nun mal gut verkaufen, ausnahmsweise sogar unabhängig von der Antwort des Coaches. Sobald das auflagensteigernde Wort mit den drei Buchstaben im Titel auftaucht, ist man auf der sicheren Seite – oder warum haben Sie diesen Artikel angeklickt?!?
Ecuadors Nationaltrainer Luis Fernando Suárez, so war gestern zu lesen, fordere seine Kicker in den letzten beiden Wochen vor der Weltmeisterschaft zur Enthaltsamkeit auf. Man müsse ein Gleichgewicht schaffen zwischen Freizeit, in der seine Schützlinge ausgehen könnten, und einer Phase, in der sie sich voll auf das Trainingslager konzentrieren müssten, zitierte ihn eine ecuadorianische Lokalzeitung. Deren Extra-Seiten wollen schließlich auch gefüllt werden.
Damit schlägt Suárez eine gänzlich andere Linie ein als sein Amtsvorgänger Hernan Dario Gomez. "Wenn man es langsam macht – und mit einer Menge Liebe – kann es ein Fußballspieler jeden Tag tun", hatte der vor vier Jahren bei der recht erfolglosen WM-Premiere seines Landes erklärt. Brasiliens Coach Carlos Alberto Parreira verzichtet sogar auf jegliche Einschränkung hinsichtlich der Dynamik oder der Emotion. "Sex ist immer gut und immer willkommen. Ein Problem wäre, wenn meine Spieler rauchen und trinken oder nicht essen und schlafen. Aber Sex am Tag vor dem Spiel ist nichts Schlechtes."
Vor einem halben Jahrhundert hatte Bundestrainer Sepp Herberger noch die Empfehlung ausgegeben, "sexuelle Bedürfnisse" ließen sich am besten durch eine Zusatzeinheit intensiven Kopfballtrainings abbauen. Wenn also Helmut Rahn zu später Stunde aus lüsternen Träumen erwachte, wartete in der menschenleeren Sporthalle nicht nur der "Geist von Spiez" auf ihn – sondern auch das Kopfballpendel. Und am Ende stand der Titel.
Unzählige wissenschaftliche Untersuchungen gibt es mittlerweile zu diesem Thema, freilich mit den unterschiedlichsten Ergebnissen. Alles also nur eine Glaubensfrage?
Wenn die Empirie versagt, hilft der Terrier! Dessen Versuchsanordnung lieferte nämlich aufschlussreiche Ergebnisse. Outete sich Berti Vogts 1994 noch als Suárez-Hardliner, gab er sich vier Jahre später in Frankreich bemerkenswert liberal. "Sex vor einem Spiel? Das können meine Jungs halten, wie sie wollen. Nur in der Halbzeit, da geht nichts", hieß es damals unter großem Gelächter. Gebracht hat der Meinungsumschwung bekanntermaßen herzlich wenig. Erneut kam das Aus im Viertelfinale, erneut gegen ein osteuropäisches Team.
Wenn Ecuador also trotz neuer Trieb-Taktik die Vorrunde des Turniers wieder nicht überstehen sollte, müsste doch eigentlich auch der letzte Zweifler überzeugt sein, dass der Einfluss des Teammanagers Eros lange überschätzt wurde. Dass es im Grunde völlig egal ist, was beispielsweise der Italiener während der Endrunde mit seiner Nudel macht. Wahrscheinlicher ist aber, dass in exakt vier Jahren wieder Meldungen dieser Art über die Ticker laufen. Die vielen WM-Seiten wollen schließlich gefüllt werden.
(Christian Helms, sportal.de)
freistuss - 23. Mai, 10:00