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Montag, 30. Oktober 2006

Freistuss Nr. 44: Doll raus!

Doll-raus

"Wir schalten hinüber in den Hamburger Volkspark", hieß es jahrzehntelang im Hörfunk, wenn eigentlich das benachbarte Stadion gemeint war.

Die Grünanlage im Stadtteil Bahrenfeld war republikweit als Synonym für die Heimspielstätte des Hamburger Sport-Vereins bekannt und kein Zuhörer wäre je auf die Idee gekommen, dass sich tatsächlich einmal jemand melden könnte, um eine Wald- und Wiesengeschichte zu erzählen. Manchmal jedoch lohnt sich genau das.

Das Schreiben von Sport-Kolumnen taugt leider nicht als Herz-Kreislauf-Training und so dient mir das komplizierte Wegenetz an der Arena, deren Name sich natürlich längst nicht mehr auf den angrenzenden Park bezieht, regelmäßig als Laufstrecke. Auch am vergangenen Samstagvormittag.

Vorbei am orangefarbenen Kuppelzelt, aus dem wenige Stunden später Moderator Oliver Welke das Publikum des Bezahlfernsehens begrüßen würde, trabte ich gedankenversunken vor mich hin, als mir ein älterer Herr auffiel, der merkwürdig angespannt vor einem der Mülleimer stand. "Das muss doch wirklich nicht sein", murmelte er, während er mit einer Münze versuchte, einen bekritzelten Aufkleber vom Abfallbehälter zu entfernen.

Und plötzlich nahm ich sie zum ersten Mal richtig wahr, die zahlreichen "Doll raus!"-Aufkleber, mit denen der Weg am Stadion in den vergangenen Wochen dekoriert wurde. Eine denkbar deutliche Meinungsbekundung aus nur acht Buchstaben. Fleißig verklebt und weit weniger vergänglich als jeder noch so laute Zwischenruf aus der Kurve. Unmut im DIN A6-Format.

"Ich hätte gedacht, dass wir einen Schritt weiter sind", erklärte HSV-Coach Thomas Doll nun nach dem mageren Remis gegen Hannover. "Wir haben noch einen weiten und harten Weg vor uns." Dabei bezog er sich vermutlich nicht auf die Aufkleber oder gar den alten Mann und sein scharfkantiges Kleingeld, der nach dem ersten Saisonsieg so entschlossen seine Solidarität mit dem Übungsleiter gezeigt hatte.

Vielleicht lässt sich die seltsame Stimmung im Umfeld des Vereins aber wirklich am besten durch das wechselnde Mengenverhältnis von "Doll raus!"-Aufklebern und tatkräftigen Senioren beschreiben. (In der ersten Version dieses Textes hieß es übrigens abkratzenden Senioren - das könnte jedoch missverständlich sein...)

Eventuell ist der Weg am Volkspark ja tatsächlich als perfekter Indikator für eine mögliche Entlassung des Hamburger Trainers zu verstehen. Nach den kommenden Partien in Wolfsburg und Stuttgart lohnt es sich gewiss, neu auszuzählen. Unter Umständen hat man beim Laufen aber auch deutlich zu viel Zeit und fängt irgendwann damit an, brisante Fußball-Geschichten auch dort zu entdecken, wo es eigentlich keine gibt. Zum Beispiel im Hamburger Volkspark.

(Christian Helms, sportal.de)

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