Montag, 13. März 2006

Freistuss Nr. 24: Beute der Panik

Nacion

"La Nacion", die etwas seriösere der beiden größeren Tageszeitungen Costa Ricas, widmete am Samstag einen Großteil ihrer Sportseiten dem ersten Gruppengegner des nahenden Weltturniers.

Während der deutlich bilderlastigere Konkurrent "Al Día" in aller Ausführlichkeit das Thema "Ronaldos Leibesfülle im Wandel der Zeit" behandelte, war dort zu lesen: "Futbol alemán es presa del panico" (Der deutsche Fußball ist Beute der Panik). Das Ausscheiden der letzten beiden DFB-Vertreter aus der auch in Costa Rica überaus populären Champions League, dazu das deutliche 1:4 von Florenz - erstklassige Zutaten für eine Geschichte über die katastrophalen Aussichten des WM-Gastgebers.

Offensichtlich liest man auch in San José aufmerksam die Bild-Zeitung; woher sonst sollte die seltsame Forderung des Experten (?) Stefan Effenberg stammen, Jürgen Klinsmann kurzfristig durch Ottmar Hitzfeld zu ersetzen. "Alemanes al borde de un ataque de nervios" (Die Deutschen am Rande des Nervenzusammenbruchs) - ja, so scheint es fast, wenn man dem Text Glauben schenken darf. Neuauflage der Wohnsitzdebatte, Rücktrittsforderungen, einzig "el presidente Theo Zwanziger" wird als wohl klingende Stimme der Vernunft zitiert. Sich zum jetzigen Zeitpunkt vom Bundestrainer zu trennen, sei eine "idea de borrachos". (Wörtlich eine Idee der Betrunkenen, vielleicht gibt das Spanische einfach keine treffendere Übersetzung für Schnapsidee her. Salud!)

Kopfschüttelnd stehe ich am Zeitungsregal und klage einem interessierten Tico, so nennen sich die Einwohner des kleinen mittelamerikanischen Landes, mein neuerwecktes Leid. Er solle sich keine allzu grossen Sorgen machen, am 9. Juni in München habe "la Sele", die Auswahl Costa Ricas, durchaus realistische Chancen auf einen Auftakterfolg. Doch ehe ich noch von den deutschen Pleiten in der Slowakei oder der Türkei erzählen kann, unterbricht er mich.

"Ach was, Costa Rica ist doch noch vieeel schlechter. Wir haben uns immerhin gerade vom Iran vorführen lassen, davor..." Und während mich mein Spanisch im Stich lässt - der Mann lispelt allerdings auch wirklich stark -, überlege ich, ob es wohl überall auf diesem Planeten üblich ist, dass Fußball-Fans am liebsten an ihrer Nationalmannschaft herummäkeln. Oder wir in knapp drei Monaten wirklich das mieseste Eröffnungsspiel aller Zeiten erleben werden.

(Christian Helms, sportal.de)

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