Montag, 13. Februar 2006

Freistuss Nr. 22: Das elfblättrige Kleeblatt

Ein guter Zauberer wird weniger für seine Fingerfertigkeit bewundert als für die Tatsache, dass es ihm regelmäßig gelingt, selbst den aufmerksamsten Zuschauer in die Irre zu führen. Er spielt gekonnt mit unseren Erwartungen, wenn wir eine Münze gutgläubig in seiner linken Hand wähnen, obwohl sie sich dort natürlich schon längst nicht mehr befindet. Sicher wird der eine oder andere jetzt einwenden, wenn man eine bestimmte Anzahl von Shows gesehen habe, dann erwarte man die Münze bereits in der anderen Hand. Aber genau das ist der Punkt: Man hat irgendwann eine ungefähre Vorstellung davon, was passieren könnte. Dadurch verliert die Geschichte an Reiz.

In ähnlich naiver Weise lasse ich mich manchmal von den Resultaten der Vorwochen verführen und denke, ich wüsste recht genau, was mich am Samstagnachmittag erwartet. Der FC Schalke 04, weder vor dem eigenen noch vor dem gegnerischen Tor in der jüngeren Bundesliga-Vergangenheit für allzu viel Entertainment berühmt, traf auf Bayer Leverkusen. Seit dem Rückrundenstart schienen auch die Rheinländer in der eigenen Hälfte wieder deutlich geordneter zu agieren – das Treffen in der Veltins-Arena versprach zumindest eher ein zähes Ringen zu werden als ein Spektakel allererster Güte.

Nun habe auch ich mir meine Leichtgläubigkeit beim Besuch solcher Veranstaltungen nicht bewahren können; davon auszugehen, dass es nun zwangsläufig ein 0:0 zu begähnen gebe, wäre töricht. Klar, dann hat man diesen winzigen Moment der Übergabe eben verpasst und das Geldstück blitzt gleich in der anderen Hand auf. Am Samstag aber waren plötzlich beide Hände des Magiers leer. Stattdessen zog er flink das Ungeheuer von Loch Ness aus seinem schwarzen Zylinder, auf dessen Rücken Elvis Presley gedankenverloren eine Ukulele zupfte, bevor ein gigantisches UFO die beiden nach 90 Minuten einsammelte und der Vorhang fiel. Den Trick verstanden hat mit Sicherheit keiner, doch das Publikum erhob sich begeistert und war dankbar für die größte Show seit einem knappen Vierteljahrhundert!

Woche für Woche erdulden Fußball-Fans die unsäglichsten Fußballspiele. Geduldig wühlen sie sich durch einen riesigen Haufen Unkraut und haben zumeist gar nicht mehr vor Augen, wonach sie eigentlich suchen. Und dann steht es da, am Stadtrand von Gelsenkirchen – ein elfblättriges Kleeblatt! Man möchte es pflücken, mit nach Hause nehmen, dort der Lebensgefährtin unter die Nase halten, um das nächste „Wäre es denn so schlimm, wenn Du ein Mal nicht zum Fußball gingest?“ einfach fortwedeln. Oder einen kurzen Moment verweilen. Wohl wissend, dass man gerade unverhofft etwas sehr Außergewöhnliches erlebt hat und unter Umständen sehr lange auf eine Wiederholung warten muss. Mindestens eine Woche.

(Christian Helms, sportal.de)

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