Montag, 3. Oktober 2005

Freistuss Nr. 8: Urlaubsnotizen

In der Fremde sind einfache Kenntnisse der Landessprache gemeinhin von Vorteil, vielfach reicht es jedoch schon, die Namen einiger aktueller Nationalspieler nennen zu können, um jede noch so verzwickte Kommunikationssituation zu meistern. Aus einem unbehaglichen Schweigen wird schnell ein Glanzstück der Völkerverständigung, wenn man sich gegenseitig die einstige und gegenwärtige Prominenz der Ballkunst an den Kopf wirft und ab und an den passenden Gesichtsausdruck findet.

Der Fußball baut Brücken, aber offensichtlich nicht nach Polen. Besuch bei Freunden in Schlesien: Dass diese sich noch nie sonderlich für Fußball interessiert haben, fand ich immer schon leicht befremdlich, tat dies aber eher als bedauerliche Ausnahmefälle auf diesem nicht grundlos runden Planeten ab. Wo ein Urlaub ist, ist auch ein Stadion: Der passionierte Gelegenheitsgroundhopper in mir jubilierte bereits, als er die Landkarte sah. Zabrze, Chorzow, Katowice – lauter alte Bekannte aus dem UEFA-Cup, auch Krakau ist nicht weit entfernt.

Oberschlesien, das ist in vielfacher Hinsicht das polnische Äquivalent zum Ruhrgebiet. Die einzelnen Städte sind hier sogar komplett zusammengewachsen, die Häuserfronten nach etlichen Jahren zwecklosen Widerstandes gegen die Kohleindustrie zugegebenermaßen noch ein wenig grauer und noch mehr Menschen trauen sich im Trainingsanzug auf die Straße. Doch während auf Schalke oder in Dortmund im Zwei-Wochen-Rhythmus Zigtausende in ihre geliebten Fußballtempel wandern, muss ich mich hier vom Gastgeber belehren lassen: "Normale Leute gehen eigentlich nicht zum Fußball."

Auch Freunde und Verwandte winken ab. "Zu gefährlich. Und wenn einer mitbekommt, dass Du nicht von hier bist, haben wir ein ernstes Problem." Gut, über gelegentliche Gewaltexzesse in osteuropäischen Stadien wird ja oft genug berichtet, doch dass schon das Mitführen eines deutschen Staatsbürgers als zu riskant eingestuft werden würde, hatte ich wirklich nicht erwartet. "Nach Sosnowiec können wir nicht, deren Fans sind dafür bekannt, Äxte (!) im Rucksack zu haben."

Während sich in Deutschland mittlerweile ja auch etliche (Möchtegern-)Intellektuelle zum Fußball bekennen – im WM-Jahr wird diesbezüglich wieder einiges auf uns zukommen – und dieser wunderbare Sport sein Schmuddel-Image in den letzten Jahren fast vollständig aus den modernen Arenen verdrängt hat, scheint es im östlichen Nachbarland als äußerst unschick zu gelten, sich mit dem rollenden Lederball zu beschäftigen. Zugespitzt: Langnese-Familienblock gegen prügelnde Unterschicht.

Ich punkte also weder mit Zurawski noch mit Dudek, Boniek oder Lato bringen immerhin ein anerkennendes Nicken. Fußballbegeisterung sieht anders aus. Vielleicht bin ich ja auch bislang einfach nur an die falschen Leute geraten...

(Christian Helms, sportal.de)

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